Elektronische Orientierungshilfen für Blinde - warum sich länger quälen?

von Tony Heyes.
Perceptual Alternatives (Alternative Wahrnehmung)
Melbourne, Australien

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Eines der wichtigsten Ziele sehbehinderter Personen ist unabhängige Mobilität. Zwei Berufsrichtungen widmen sich diesem Anliegen: Orientierungs- und Mobilitätsrainer, die sich um die Vermittlung der Kenntnisse für das Langstocktraining bemühen, und Blindenführhundausbilder, die Hunde trainieren, Blinde unterweisen und beide gemeinsam zu einer Einheit ausbilden. Viele kürzlich erblindete Personen fragen nach elekronischen Orientierungshilfen. Mein Rat an diese Personen ist stets, nicht als erstes elektronische Orientierungshilfen in Betracht zu ziehen. Das Langstocktraining und der Blindenführhund zählen zu den anerkannten primären Hilfsmitteln für Blinde und haben sich sehr gut bewährt.

Lassen Sie uns annehmen, die blinde Person hat sich entweder für ein Langstocktraining oder einen Ausbildungslehrgang mit einem Blindenführhund entschieden. (Die Entscheidung für die eine oder andere Form primärer Orientierungshilfen hat weniger mit dem unterschiedlichen Sehrest der blinden Person zu tun als mit den ihr eigenen Lebensgewohnheiten und der jeweiligen Verfügbarkeit des einen oder anderen Trainings. Sowohl die einen als auch die anderen Anwender des jeweiligen Trainingsprogramms verfügen in der Regel über ein sehr unterschiedlich ausgeprägtes Restsehvermögen). Nun wollen wir uns der anfangs gestellten Frage zuwenden : "Elektronische Orientierungshilfen für Blinde - warum sich länger quälen?" Präzise formuliert, könnte diese Frage auch so lauten:

Welche hilfreichen Zusatzinformationen könnte ein elektronisches Orientierungshilfsmittel einer sehbehinderten/ blinden Person vermitteln, die sie nicht bereits über die ihr verbleibenden restlichen Sinne in Verbindung mit einem Blindenführhund oder einem Langstock erhält?

Die Erforschung dieser Frage war eines der Ziele, die sich die Gesellschaft zur Erforschung der Mobilität blinder Menschen, die Blind Mobility Research Unit (BMRU) an der Universität Nottingham/England gesetzt hatte. Ich verbrachte 17 Jahre als Forscher für die BMRU.

Die ersten Experimente mit elektronischen Orientierungshilfen versuchten, möglichst viele Informationen an die blinde Person zu übermitteln. Es handelte sich dabei um visuelle "Ersatzsysteme", die entwickelt wurden, um dem Anwender über die verbleibenden Restsinne ein möglichst wirklichkeitsgetreues Abbild der Welt zu bieten. Man ging dabei von dem Grundgedanken aus, dass diese Entwicklungen eine Alternative zu den primären Hilfsmitteln darstellen könnten. Blinde wären dann nicht länger ausschliesslich auf den Langstock oder den Blindenführhund angewiesen. Diese Hoffnung ist weltweit immer noch die Motivation unzähliger Ingenieursabteilungen.

Ein wirklicher Fortschritt wurde durch den Psychologen und BMRU Gründer Alfred Leonard erzielt, der eine ebenso einfache wie aufschlussreiche Untersuchung durchführte. Er fand heraus, dass ein durchschnittlicher Langstockanwender sich auffallend sicherer, harmonischer und fliessender bewegte, wenn eine unmittelbar hinter dem/der Blinden gehende Person leise und kurze Informationen gab. Ausserdem zeigte es sich, dass schon sehr wenig Zusatzinformation völlig ausreichend war, um diesen Effekt zu erzielen. Er schloss daraus, dass es erforderlich war, ein elektronisches Hilfsmittel zu entwickeln, das den Blinden mit einer kleinen Menge relevanter Informationen versorgen sollte. Ausserdem sollten diese Informationen der blinden Person so übermittelt werden, dass andere Informationskanäle nicht blockiert oder beeinträchtigt würden.

Auf der Basis dieser und anderer Untersuchungen, die sich mit der Erforschung elektronischer Orientierungshilfen auseinandersetzten, wuchs die Überzeugung Leonards, dass man versuchen sollte, elektronische Orientierungshilfen als Ergänzung zu den den primären Hilfsmitteln einzusetzen. Der Nutzen elektronischer Orientierungshilfen sollte demzufolge nicht länger an der Fülle der übermittelten Information gemessen werden, sondern an dem unmittelbaren Nutzen für den Anwender.

Um welche Bereiche handelt es sich also, die bei der alleinigen Anwendung eines Langstocks oder Blindenführhundes durch elektronische Hilfsmittel unterstützt werden könnten? In der Regel handelt es sich vor allem um drei Bereiche:

- die generelle Orientierung
- die lokale Orientierung
- die Wahrnehmung von Hindernissen, die über den Langstock oder vom Blindenführhund nicht ausreichend erfasst wurden.

Der erste Bereich, generelle Orientierung, ist der Forschungsgegenstand zahlreicher Untersuchungen. Der Fortschritt über die globale Installation von Satelliten und zellulären Telefonnetzwerken ermöglicht dem blinden Verkehrsteilnehmer eine sehr genaue Kenntnis seiner augenblicklichen Position. Ein wichtiger Aspekt liegt hierbei in der Entwicklung anwenderfreundlicher Displays bei niedrigen Kosten und geringem Gewicht . Mein Forschungsgebiet lag im zweiten und dritten Bereich: Lokale Orientierung und das Aufspüren ansonsten unentdeckt bleibender Hindernisse.

Untersuchungen haben ergeben, dass Langstockgeher ohne äussere Information nicht in der Lage sind, eine gerade Gehrichtung einzuhalten. Blinde mit gut ausgeprägtem Gehör erhalten diese Information entweder über den Verkehrsfluss auf den Strassen oder über die Echos, die ihre Schritte und der Langstock von einer Mauer reflektieren, die entlang dem Gehweg verläuft. Eine andere Technik, die auch fšr Blinde mit schwachem Gehör geeignet ist, benutzt den steten Wechsel von Kontakt mit der Bordsteinkante (oder einer anderen Leitlinie) und der Pendeltechnik mit dem Langstock. Blinde mit Führhunden bemerken die Hindernisse in ihrem Weg meistens nicht, weil der Hund sie in der Regel elegant darum herumführt. Viele Blinde haben daher nur eine bruchstückhafte Vorstellung der sie umgebenden charakteristischen Merkmale in der Umgebung.

Die Langstocktechnik erfasst keine Hindernisse, die oberhalb von Hüfthöhe liegen, ausser, sie reichen bis zum Boden. Um diese Hindernisse zu erfassen, muss der Blinde sich auf sein Gehör verlassen, indem er entweder die Echos oder den Klangschatten der Objekte wahrzunehmen versucht. Ein sehr wesentlicher Teil des Mobilitätstrainings besteht deshalb in der Ausbildung des Gehörs des Blinden. Blindenführhunde umgehen in der Regel auch Hindernisse in Kopfhöhe recht zuverlässig, auch wenn diese im Wahrnehmungsraum des Hundes im Sinne der Fortbewegung bedeutungslos sind. Elektronische Orientierungshilfen sollten vor allem den oberen Körperbereich schützen.

Die Entwicklung einer elektronischen Orientierungshilfe, die bei einfacher Handhabung kurze, präzise Informationen über die jeweils aktuelle Situation liefert, hat mich lange Zeit beschäftigt. Zunächst als Forscher der BMRU an der Universität Nottingham, später als Manager der Abteilung für Entwicklung und Forschung an der Königlichen Australischen Führhundeschule und nun in meiner Eigenschaft als unabhängiger Berater. In diese Arbeit waren die Entwicklung und die Auswertung verschiedener Prototypen elektronischer Hilfmittel ebenso eingeschlossen wie die enge Zusammenarbeit mit sehbehinderten Personen und Mobilitätstrainern. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit ist ein Gerät, das mit Ultraschallwellen arbeitet und über einen Mikroprozessor gesteuert wird, der "Sonic Pathfinder". Das Gerät wird am Kopf wie ein Stirnband getragen, wiegt sehr wenig und ist leicht zu bedienen.

Um eine Orientierungshilfe zu entwickeln, die "entscheidet", welche Information für den Anwender wichtig ist, wurde mit der Technik "künstlicher Intelligenz" gearbeitet. Der "Sonic Pathfinder" ist tatsächlich das erste elektronische Orientierungshilfmittel, das auf der Basis künstlicher Intelligenz "eigene" Entscheidungen vornimmt. Der Anwender erhält alle Informationen über ein sehr einfaches Tonsystem.

Auch wenn der "Sonic Pathfinder" sehr anwenderfreundlich konstruiert und einfach zu handhaben ist, ist ein sorgfältiges Training unerlässlich. Besonders wichtig ist hierbei die Integration des "Sonic Pathfinders" in die bereits bestehende Orientierungstechnik des Blinden mit dem Langstock oder seinem Blindenführhund. Es wurden viele Anstrengungen unternommen, um ein zufriedenstellendes Training dafür zu entwickeln. Mittlerweile gibt es Agenturen und erfahrene Trainer für den "Sonic Pathfinder" in Australien, Europa, Indonesien und den USA.

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